Neurostimulation erklärt:
Methoden, Einsatzgebiete und Erfolgsaussichten
Ständige Schmerzen können das Leben aus dem Gleichgewicht bringen. Wenn sich alltägliche Bewegungen wie Gehen, Sitzen oder Schlafen zunehmend schwieriger gestalten, kann das auf Dauer nicht nur körperlich belasten, sondern auch die Psyche beeinträchtigen. Viele Betroffene durchlaufen einen langen Weg: Medikamente, Physiotherapie, Injektionen, Operationen. Doch was, wenn all das nicht hilft?
Die Neurostimulation bietet hier eine Möglichkeit, Schmerzen auf einem ganz anderen Weg zu beeinflussen. In diesem Beitrag erfahren Sie, wie diese Methode funktioniert, bei welchen Beschwerden sie helfen kann und welche Chancen sie mit sich bringt.
Erläuterung
Was versteht man unter Neurostimulation?
Neurostimulation ist ein medizinisches Verfahren, bei dem elektrische Impulse eingesetzt werden, um die Weiterleitung und Verarbeitung von Schmerzsignalen im Nervensystem zu beeinflussen. Ziel ist es, diese Signale zu unterbrechen oder abzumildern, sodass sie nicht mehr in der gewohnten Intensität im Gehirn ankommen.
Grundlage dieses Ansatzes (aber nicht alleiniges Erklärungsmodell) ist die sogenannte Gate-Control-Theorie: Sie besagt, dass Schmerzreize durch andere Reize, in diesem Fall elektrische Impulse, blockiert oder überlagert werden können. Die Methode arbeitet mit sehr feinen, dosierten Stromimpulsen, die über ein spezielles Gerät direkt an bestimmte Nerven oder Bereiche des Rückenmarks geleitet werden. Dort verhindern sie, dass Schmerzimpulse ungehindert weitergegeben werden.
Neurostimulation ist also kein Betäubungsverfahren, sondern kann als Umprogrammieren des Schmerzempfindens bezeichnet werden. Dabei liegt das vorrangige Ziel darin, wieder mehr Lebensqualität zurückzugewinnen.
Symptome
Wann wird Neurostimulation eingesetzt?
Die Neurostimulation kommt dann zum Einsatz, wenn andere Wege ausgeschöpft sind und die Schmerzen dennoch bleiben. Häufig betrifft das Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden (insbesondere sog. neuropathische Schmerzen bzw. Nervenschmerzen), bei denen weder Medikamente noch Physiotherapie, Wärmeanwendungen oder andere konservative Maßnahmen eine ausreichende Linderung bringen. Auch bei bestimmten neurologischen Erkrankungen kann die Methode hilfreich sein.
Dabei gibt es zwei Varianten der Anwendung:
- Externe Neurostimulation (TENS): Hier wird ein kleines Gerät außen am Körper getragen, das über Elektroden elektrische Impulse an die Haut abgibt.
- Neurostimulation durch Implantat: Bei schwerwiegenderen Fällen kann ein Neurostimulator, häufig auch als “Schmerzschrittmacher” bezeichnet, operativ eingesetzt werden.
Wichtig ist in jedem Fall eine sorgfältige Diagnostik, um herauszufinden, ob die Methode infrage kommt und welche Form der Anwendung am besten geeignet ist.
Ein Punkt, der dabei jedoch oft übersehen wird: Viele Betroffene warten Jahre auf eine geeignete Behandlung, ja sogar mitunter auf eine korrekte Diagnose. Diese Wartezeit geht nicht spurlos am Leben vorbei. Sie kostet Energie, Beweglichkeit und häufig auch ein Stück Normalität.
In einem aktuellen Interview zur Neurostimulation erklärte PD Dr. med. Dirk Rasche (Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuromodulation e.V.), viele Patienten müssten oft mehrere Jahre auf den Zugang zu dieser Therapie warten. Diese lange Wartezeit beeinträchtige ihre Lebensqualität spürbar, obwohl die Behandlung ihnen möglicherweise schon früher helfen könnte.
Je früher die Therapie begonnen werden kann, desto besser sind in vielen Fällen die Ergebnisse und desto eher können neue Wege im Umgang mit dem Schmerz gefunden werden.
Moderne Schmerzbehandlung
Wo werden Neurostimulatoren implantiert?
Die moderne Neurostimulation arbeitet mit hochpräzisen Geräten, die direkt an den Nerven wirken, entweder am Rückenmark, im Gehirn selber oder im peripheren Nervensystem. Ziel ist es, Schmerzsignale so zu modulieren, dass sie im Gehirn mit geringerer Schmerzintensität wahrgenommen werden.
Bei der Rückenmarkstimulation, auch als Spinal Cord Stimulation (SCS) oder Neurostimulationstherapie bekannt, wird ein umgangssprachlich als “Schmerzschrittmacher” bezeichnetes Gerät eingesetzt. Dieses System besteht aus mehreren Komponenten:
- Elektroden, die auf die Haut des Rückenmarks im Spinalkanal von Brust- oder Halswirbelsäule gelegt werden (bei der peripheren Nervenstimulation liegen die Elektroden auf den Arm- oder Bein-Nerven, bei der Tiefenhirn- und Motorkotex-Stimulation im Gehirn),
- einem Neurostimulator (also dem eigentlichen Impulsgeber), der unter der Haut, meist im Bereich des Rumpfes oder Gesäßes, implantiert wird
- sowie einer Steuereinheit, mit der die Impulse von außen durch den Patienten/die Patientin selbst angepasst und kontrolliert werden können.
Die Implantation erfolgt in zwei Schritten:
- Zunächst wird das System im Rahmen einer 1-2 wöchigen Testphase von außen gesteuert. So lässt sich feststellen, ob die Methode bei der jeweiligen Person die gewünschte Wirkung zeigt.
- Erst wenn sich im Rahmen dieser Testphase eine deutliche Besserung einstellt, folgt der dauerhafte Einbau des Stimulators unter die Haut.
Die Technik der Neurostimulation ermöglicht es, präzise Nervenareale zu beeinflussen, ohne den ganzen Körper mit Medikamenten zu belasten. Für viele Patienten ist das ein neuer Weg, mit Schmerzen umzugehen.
Wann kommt die Neurostimulation nicht infrage?
So hilfreich die Neurostimulation für viele Menschen mit chronischen Schmerzen sein kann, sie ist nicht in jedem Fall geeignet. Vor Beginn der Therapie prüft der behandelnde Arzt sehr genau, ob medizinische oder psychische Gründe gegen eine Implantation sprechen.
Zu den häufigsten Ausschlusskriterien zählen:
- chronisch nozizeptive Schmerzen ohne jegliche neuropathische Komponente (z. B. Arthroseschmerzen der Gelenke, z. B. dumpf-drückende Rückenschmerzen von HWS, BWS und LWS)
- Nicht behandelte psychische Erkrankungen: Depressionen, Angststörungen oder andere psychische Belastungen sollten zunächst stabilisiert oder behandelt werden, da sie den Therapieerfolg beeinflussen können.
- Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit: Aktive Abhängigkeitserkrankungen schließen eine Implantation in der Regel aus, da sie mit einem erhöhten Risiko für Komplikationen und Therapieversagen einhergehen.
- Schwere Blutgerinnungsstörungen: Bei Patienten mit stark erhöhter Blutungsneigung oder bestimmten Gerinnungsstörungen kann das Operationsrisiko zu hoch sein.
- Andere aktive Implantate: Wer bereits ein medizinisches Gerät trägt, das elektrische Impulse erzeugt (z. B. einen Herzschrittmacher), muss sorgfältig abklären lassen, ob eine Neurostimulation möglich ist.
- Krebserkrankung im fortgeschrittenen Stadium: In solchen Fällen stehen oft andere Therapieziele im Vordergrund, weshalb eine Implantation in der Regel nicht sinnvoll ist.
- Infektionen im Bereich des geplanten Implantats: Liegt eine lokale Entzündung oder Infektion vor, muss diese zuerst vollständig ausheilen, bevor der Stimulator eingesetzt werden kann.
Die Entscheidung für oder gegen eine Neurostimulation wird immer individuell getroffen, basierend auf Ihrer persönlichen Krankengeschichte, Ihrem körperlichen Zustand und Ihren Bedürfnissen. Ein ausführliches Gespräch mit einem erfahrenen Schmerztherapeuten oder Neurochirurgen ist daher unerlässlich.
Welche Chancen und Risiken bietet Neurostimulation?
Für viele Schmerzpatienten bietet die Neurostimulation eine echte Perspektive. Sie kann nicht nur die Schmerzintensität deutlich senken, sondern auch helfen, den Alltag wieder aktiver zu gestalten. Gleichzeitig gibt es jedoch auch einige Risiken, über die wir Sie aufklären möchten.
Mögliche Vorteile der Neurostimulation
Patienten, bei denen Schmerzmittel, Physiotherapie oder andere koservative Maßnahmen an ihre Grenzen stoßen, erleben die Neurostimulation oft als neue Perspektive. Die Methode kann gleich in mehrfacher Hinsicht entlastend wirken: körperlich, seelisch und im Alltag.
- Schmerzlinderung: Viele Patienten berichten von einer Schmerzreduktion, ein realistisches Therapie-Ziel ist eine Linderung von mindestens 40 Prozent.
- Weniger Medikamente: Der Bedarf an Schmerzmitteln kann deutlich sinken.
- Besserer Schlaf: Durch die Schmerzlinderung verbessert sich häufig auch die Schlafqualität.
- Höheres Wohlbefinden: Auch psychisch berichten viele Betroffene von einer spürbaren Entlastung.
- Flexibilität der Therapie: Die Reizstärke kann angepasst werden und die Therapie ist jederzeit umkehrbar.
- Vorherige Testphase: Bevor der Stimulator dauerhaft implantiert wird, kann er extern getestet werden.
Auch DGNM-Präsident Dr. Rasche betonte in einem aktuellen Interview zur Neurostimulation, viele Patienten empfänden das Verfahren als regelrechten Wendepunkt. Sie hätten den Eindruck, endlich wieder ein Stück Kontrolle über ihren Alltag zurückzugewinnen und mit ihr ein ganz neues Lebensgefühl.
Mögliche Risiken der Neurostimulation
Trotz der vielversprechenden Erfolge ist die Neurostimulation keine pauschale Lösung für jeden Fall. Wie bei jeder medizinischen Behandlung gibt es auch hier gewisse Risiken, über die vorab aufgeklärt werden sollte.
- Infektionen an der Implantationsstelle: Selten, aber möglich, insbesondere bei abwehrgeschwächten Personen (Diabetes, HIV, Immunsuppression, Biologika-Therapie).
- Blutungen oder Gewebeverletzungen: Diese treten vereinzelt im Zusammenhang mit der Implantation auf.
- Verletzungen von Nerven: In sehr seltenen Fällen kann es zu vorübergehenden oder bleibenden Nervenschädigungen kommen.
- Schmerzen im Bereich des Implantats: Einige Patienten berichten über Druck- oder Spannungsgefühle unter der Haut.
- Technische Probleme: Etwa verrutschte oder beschädigte Elektroden – kann in der Regel mit einer erneuten Korrektur (=OP) behoben werden.
- Ausbleibende Wirkung: Trotz korrekter Anwendung und Implantatlage kann es vorkommen, dass keine langfristig ausreichende Schmerzlinderung erzielt wird.
Die gute Nachricht: Die Komplikationsrate ist insgesamt gering. Sollte es dennoch zu Problemen kommen, kann der Stimulator meist unkompliziert entfernt oder angepasst werden.
Wie hoch sind die Erfolgschancen der Neurostimulation?
Zahlreiche Studien und Erfahrungsberichte zeigen: Viele Patienten profitieren spürbar von der Neurostimulation. In rund 70 bis 80 Prozent der Fälle chronisch-neuropathischer Schmerzen kommt es zu einer deutlichen Besserung der Beschwerden.
Wichtig ist dabei auch der Zeitpunkt der Therapie. Wird die Neurostimulation frühzeitig eingesetzt, bevor sich ein sogenanntes Schmerzgedächtnis ausbildet, steigen die Erfolgsaussichten erheblich. Ziel ist nicht immer vollständige Schmerzfreiheit (die kann nur in wenigen Fällen erreicht werden), sondern eine nachhaltige Reduktion der Beschwerden und eine Verbesserung des Alltags.
Auch wenn der Eingriff keinen garantierten Erfolg verspricht, kann er vielen Betroffenen neue Perspektiven eröffnen. Ein bewusster Umgang mit verbleibenden Schmerzen gehört dabei genauso zur Therapie wie die Hoffnung auf neue Beweglichkeit und Lebensfreude.
Chronische Schmerzen – kann Neurostimulation helfen?
Quälen Sie anhaltende Schmerzen, die Ihren Alltag beeinträchtigen und auf herkömmliche Behandlungen nicht mehr ansprechen? Wenn Medikamente, Physiotherapie oder andere Maßnahmen keine ausreichende Linderung bringen, kann die Neurostimulation eine vielversprechende Option sein.
Damit ich prüfen kann, ob diese Therapieform für Sie infrage kommt, läuft die erste Indikationsprüfung online bzw. per Mail ab. Das heißt: Sie fordern telefonisch einen Schmerzfragebogen an und senden diesen zusammen mit Ihren Vorbefunden zurück. Auf dieser Grundlage entscheide ich, ob ein persönliches Gespräch sinnvoll ist.
Wie läuft die Implantation des Schmerzschrittmachers ab?
Bevor der Neurostimulator dauerhaft implantiert wird, durchlaufen Sie mehrere Schritte. Das Ziel ist, möglichst sicher zu beurteilen, ob diese Therapie für Sie infrage kommt:
- Vorgespräch mit dem Facharzt: Zunächst klärt ein ausführliches Gespräch, welche Beschwerden vorliegen, ob andere Therapien ausgeschöpft sind und ob die Voraussetzungen für eine Neurostimulation erfüllt sind.
- Ersteingriff – Testphase: In einem minimalinvasiven Eingriff werden feine Elektroden im Bereich des Rückenmarks platziert. Der Neurostimulator bleibt zu diesem Zeitpunkt noch extern. Sie tragen ihn einige Tage am Körper und testen im Alltag, ob sich Ihre Schmerzen unter der Stimulation spürbar verbessern.
- Auswertung der Testphase: In dieser Zeit achten Sie auf Veränderungen Ihrer Beschwerden. Sie notieren, wann und wie stark sich der Schmerz verändert hat, wie gut Sie schlafen konnten oder ob Sie weniger Medikamente brauchten.
- Zweiteingriff – Implantation: Fällt die Testphase positiv aus, wird der Neurostimulator bei einem zweiten Eingriff dauerhaft unter der Haut eingesetzt, meist im Gesäß- oder Rumpfbereich. Die Elektroden werden fest verbunden, die Verbindungskabel sicher unter der Haut verlegt.
- Nachsorge: Nach dem Eingriff erfolgt die individuelle Programmierung. Dabei wird die Intensität der elektrischen Impulse genau auf Ihre Bedürfnisse abgestimmt. Zudem werden regelmäßige Kontrollen vereinbart, um den langfristigen Therapieerfolg sicherzustellen.
Was passiert nach der Implantation des Neurostimulators?
Nach dem Eingriff beginnt eine Phase der Anpassung, nicht nur körperlich, sondern auch im Umgang mit dem neuen Therapiegerät. Viele Patienten empfinden bereits in den ersten Tagen eine spürbare Erleichterung.
Damit die Behandlung langfristig erfolgreich ist, sind einige Punkte besonders wichtig:
- Individuelle Feineinstellung: In den ersten Wochen wird die Intensität der Impulse Schritt für Schritt angepasst. So finden Sie gemeinsam mit dem behandelnden Arzt den Stimulationsmodus, der Ihre Beschwerden am besten lindert.
- Regelmäßige Kontrolluntersuchungen: Es ist wichtig, regelmäßig zu überprüfen, ob die Elektroden weiterhin korrekt positioniert sind und die Wirkung stabil bleibt. Eventuelle Anpassungen lassen sich unkompliziert vornehmen.
- Umgang mit dem Gerät: Sie lernen, wie Sie den Stimulator im Alltag steuern können, zum Beispiel über eine kleine Fernbedienung. Je nach Modell lässt sich das Gerät sogar kabellos aufladen.
- Schonung nach dem Eingriff: In den ersten Wochen sollten körperlich anstrengende Tätigkeiten vermieden werden. Auch Sport oder ruckartige Bewegungen können den Heilungsprozess beeinträchtigen und sollten zunächst pausiert werden (für mind. 3 Monate).
Flexibilität der Behandlung: Falls der gewünschte Effekt ausbleibt oder sich Ihre Lebensumstände verändern, kann der Stimulator jederzeit neu programmiert oder, falls notwendig, wieder entfernt werden.
FAZIT:
Wenn herkömmliche Wege nicht mehr weiterführen
Wenn der Alltag durch Schmerzen geprägt ist, die Lebensfreude schwindet und herkömmliche Therapien keine ausreichende Wirkung zeigen, kann die Neurostimulation eine echte Chance bieten. Sie ist kein Wundermittel, aber für viele Betroffene ein wichtiger Schritt zurück zu mehr Selbstbestimmung, Bewegung und Ruhe im eigenen Körper. Die Entscheidung für eine solche Therapie braucht Zeit, Vertrauen und eine ausführliche Beratung.
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Hinweis
Dieser Blogbeitrag dient ausschließlich der allgemeinen Information und ersetzt keine ärztliche Beratung, Diagnose oder Behandlung. Bei gesundheitlichen Beschwerden wenden Sie sich bitte an einen Arzt oder eine qualifizierte medizinische Fachkraft.
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